Ist es Meme Art? Ist es postironische Kunst für die Instagram-Generation? Oder sind es einfach die besten Geschenke, die man machen kann? Seit 2019 produziert Kamila Majcher ihre Very Ugly Plates; an diesem Wochenende eröffnet sie endlich den dazugehörigen Shop in der Adalbertstraße 24. Wir waren in ihrem Very Ugly Place – der eigentlich very cute ist – und haben mit ihr geplaudert.
Wo findest du eigentlich deine Teller?
Auf Flohmärkten und in Secondhandshops. Meine Freunde helfen mir auch manchmal. Aber ich möchte mich etwas unabhängiger machen und fange an, meine eigenen Designs zu drucken.
Was ist der letzte Teller, der auf einer wahren Geschichte basiert?
Der mit dem Mädchen und dem Hund – „Please God, make it edible“. Er basiert auf den grauenhaften Kochkünsten der Schwester meiner Oma. Das Schlimmste, was ich je gegessen hatte. Ich musste mich stets mit Butterbroten über Wasser halten! (Sie lacht)
Viele deiner Teller handeln von typischen Berlin-Erlebnissen, Parties, Sex. Hast du eine persönliche Berlin-Story?
Ich nehm‘ keine Drogen und trinke nicht viel, also habe ich keine Party-Stories. Wenn überhaupt, dann sind meine enttäuschenden Dates typisch für Berlin. Es gibt dazu einen Teller, der sagt „Be more specific about your kinks on Tinder“, der basiert z.B. auf einem echten Date. Es ist interessant, was für Kinks die Leute haben. Ich habe mal einen Typen getroffen, der wollte, dass man auf ihm herumläuft. Ich frag‘ mich nur, warum.
Wir werden von Kunden unterbrochen. Kamila begrüßt alle sehr herzlich, bietet Prosecco an, plaudert mit den Leuten. Nebenbei erzählt sie mir von einer anstehenden Kollaboration für September, mit einer bekannten Marke, die erstmal geheim bleiben soll. Die Leute lachen über einzelne Teller, wir lachen mit.
Genau so soll mein Shop sein! Es kommen dauernd Leute vorbei, bleiben auf einen Drink, kommen wieder. Ich bin froh, dass ich einen Ort schaffe, der nicht auf Kommerz aus ist, sondern eine Community ist. Vielleicht höre ich auch dabei einige Geschichten, die mich zu neuen Very Ugly Plates inspiriert.
Wann bist du am kreativsten?
Wenn ich Liebeskummer habe. So entstand die Idee hinter Very Ugly Plates. Ich war mit einem Mann zusammen, wir fuhren nach Italien und er brach mir das Herz. Meine Kreativität explodierte daraufhin, ich bastelte, nähte, malte. Als ich dann einen Teller mit Babyrobben fand, wollte ich etwas Schmutziges darauf schreiben. Wenn ich keinen Liebeskummer habe, dann lasse ich mich von Enttäuschungen inspirieren. Es gibt viele enttäuschende Erlebnisse in meinem Leben! (lacht)
So wie der Teller, der vom verschwendeten sexuellen Potenzial spricht?
Genau! Das bin ich, ich habe den Teller zu meinem Geburtstag gemacht, um meine Stimmung in dem Moment einzufangen. Das ist ein alljährliches Ritual von mir. Vielleicht kann ich dieses Mal etwas zuversichtlicher sein.
Der Robbenteller war der erste der Very Ugly Plates?
Es gab zwei erste Teller. Der andere wünscht „Happy unemployment“. Das ist die wahre Nummer Eins, vielleicht stelle ich ihn eines Tages aus. Natürlich ist er unverkäuflich. Aber ja, die Very Ugly Plates haben einen Vater und nun sind wir beide Freunde.
Kennst du die Plakate aus der Sowjetzeit? Sind sie eine Inspiration?
Ich komme aus Polen und die polnischen Plakate aus den 70er sind mitunter die besten, die es gibt! Aber die Sowjetplakate waren für mich keine Inspiration. Ich wuchs in den letzten Jahren des Kommunismus auf, im Krakau der 90er. Alles war so grau und deprimierend. Ich mag nicht daran erinnert werden. Ich würde auch nicht durch postsowjetische Länder reisen – lieber nach Monaco!
Das erinnert mich an einen Roman von Sibylle Lewitscharoff, in dem genau dieser postsowjetische Verfall beschrieben wurde.
Ja, und weißt du, was noch lustig ist? Ich lese keine Bücher mit gelben Seiten und sehe mir keine Schwarz-Weiß-Filme an. Sie rufen bei mir genau dasselbe Gefühl der Klaustrophobie hervor. Ich ziehe es einfach vor, Neues zu schaffen. Außerdem bin ich gegen Minimalismus. Wenn ich älter bin, werde ich wie meine Oma sein. Sie hätte Glitzernägel, überall viel Gold und trug Leopardenmuster. Eine echte Lady in großen Stil. Lieber Kitsch als Minimalismus!
Waren 90er Jahre dunkle Zeiten in Polen?
Das war eine gefährliche Zeit, die Zeit der großen Möglichkeiten. Meine Eltern reisten dauernd umher, kauften und verkauften Sachen. Ich wuchs praktisch in einem Auto auf! Ich glaube, weil wir aus Osteuropa kommen, arbeiten wir härter, um nie wieder in diese Zeiten zurückzufallen.
Würdest du sagen, die Polen sind lustiger als Deutsche?
Sie sind unterschiedlich. Deutsche wirken auf den ersten Blick, als hätten sie keinen Humor und dann machen sie den Mund auf und sagen etwas und ich krieg‘ mich nicht vor Lachen nicht mehr ein. Ich habe meinen Sinn für Humor von meiner Familie geerbt. Wir lachen über alles, nichts ist Tabu.
Was macht ein gutes Zitat für einen Teller aus?
Für mich gibt es nur eine Regel: Es muss klar sein, was ich sagen will. Wenn meine engsten Freunde nicht verstehen, was ich sagen will, dann verwerfe ich die Idee. Das ist der zeitaufwändigste Teil der Arbeit. Zuerst versuche ich, mir eine Geschichte auszudenken und sie dann in ein paar Worten zu erzählen. Ich verwende nicht den ersten Gedanken, der mir in den Sinn kommt. Wenn es mir so leicht einfällt, kann es nicht gut sein. Ich brauche den Überraschungseffekt.
Wie lange brauchen deine Teller, bis sie fertig werden?
Manchmal sehe ich den Teller und weiß sofort die Geschichte dazu. Einige Teller kaufe ich einfach blind und dann warten sie erstmal jahrelang auf ihre Zeit. Manchmal kontaktiert mich aber jemand und bestellt einen Teller als Geschenk. Dann sage ich: „Ich hab den perfekten Teller dazu, aber erzählen Sie mal vom Beschenkten. Was macht ihn aus?“ Diese Aufträge habe ich fast lieber.
Was für Künstler magst du?
Künstler, die mich überraschen. Viele polnische Künstler gehören zu meinen Lieblingen. Auf dem Tisch dort drüben (siehe Titelbild) sind ihre Porzellanfiguren und Kerzen ausgestellt. Kunst kann einem ein gutes Gefühl geben, aber ich denke nicht, dass sie große Botschaften haben sollte.
Sollte Kunst unpolitisch sein?
Für mich macht das keinen Sinn, denn die politische Lage ändert sich immer wieder. Kunst sollte eher universell sein, Themen behandeln, die uns alle angehen, wo wir uns mit identifizieren können. Wenn sich jemand in hundert Jahren meinen Teller ansieht, wo es um rasierte Beine geht, hat er/sie immer noch einen Bezug dazu. Außerdem versuche ich mich von der Kunst, die ich mache, zu trennen. Meine Meinung interessiert niemanden.
Hat Kunst nie etwas verändert?
Nein, Kunst verändert nichts in der Welt. Aber Humor kann das. Er bringt die Menschen zusammen. Eine Frau erzählte mir mal, dass sie den „Let’s shit on everything“-Teller (s.u.) als Hochzeitsgeschenk bekommen hat, und fragte sie mich, ob sie das Design für eine Hochzeitstorte verwenden können. Das hat mich sehr berührt. Ich bin nun Teil der Familiengeschichte! Ein anderer Kunde hat mir gemailt, dass nachdem sein Kater gestorben war, er keine schwarzen Katzenbilder sehen konnte. Meine Teller waren die ersten, die er sich ansehen konnte, ohne zu weinen!
Du hast immer wieder Katzen als Motive.
Und dabei bin ich Hundemensch! Ich weiß, dass viele Leute Katzen schätzen, aber ich kenne leider kaum nette Katzen. Die meisten Katzen sind irgendwie böse!
Wie würdest du dich beschreiben?
Ich bin mit dem Kommerz verheiratet, aber habe manchmal mit der Kunst Sex. Ich werde demnächst mal eine künstlerisch wertvolle Ausstellung machen, aber es ist nicht etwas, was ich unbedingt tun muss.
Das ist erleichternd, nicht jeder Teller muss bedeutsam und kunstvoll sein…
Genau! Ich wollte mich nie darauf verlassen, kreativ zu sein. Ich habe inzwischen genug lustige Designs gemacht, die sich gut verkaufen.
Also nicht alle Teller sind Unikate?
Nein. Zugleich versuche auch, günstigere Objekte zu produzieren, damit sich jeder etwas leisten kann, egal ob Tasse, Poster oder Postkarte. Ich will nicht exklusiv sein. So bin ich sichtbar, bei den Menschen präsent. Ich bedaure nicht, dass ich eine kommerzielle Richtung eingeschlagen habe. Ich weiß noch, wie ich meiner Mutter sagte, dass ich keine Künstlerin werden will, weil ich nicht arm sein wollte. Und jetzt lacht meine Mutter über mich: „Sieh dich an, was bezahlt deine Rechnungen?“
Ist es besser, sehr hässlich oder sehr dumm zu sein?
Beides geht, denke ich. Das Schlimmste ist, sehr faul zu sein. Dann hat man keine Chance.
Very Ugly Place liegt in der Adalbertstraße 24. Die Eröffnungsfeier ist am 3. September ab 13 Uhr – mit viel Prosecco und viel Humor!