Das Time Out hat kürzlich in einer Umfrage 20.000 Teilnehmer nach den coolsten Straßen in ihrer Stadt befragt. Die Liste führt neben den üblichen Verdächtigen wie New York, Kopenhagen oder Athen auch Berlin an. Die Oranienstraße in Kreuzberg erhielt die meisten Stimmen. Wieso? Ist die der Cool Kid Berlins?
Oranienstraße, damals
Die Oranienstraße verläuft auf ca. 2 Kilometern Länge durch Kreuzberg 36, vom Görlitzer Bahnhof bis nach Berlin-Mitte zur Rudi-Dutschke-Straße. Ursprünglich als kurze Nebenstraße der Jacobstraße als „Orangenstraße“ bekannt, wurde sie erst im Laufe der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts zu ihrer jetzigen Länge ausgebaut. 1849 bekam sie den jetzigen Namen, nach dem niederländischen Adelsgeschlecht.
Warum ist die Oranienstraße so cool? Weil sie wandelbar ist. Laut tip ist die Straße „Berlin in einer Nusschale“. Man kann an ihr die meisten geschichtlichen Bewegungen der letzten 150+ Jahre ablesen. Zunächst jüdische Geschäftsstraße, mit berühmten Bewohnern wie Konrad Zuse, dem Erfinder des Computers, wurde die Oranienstraße im Zweiten Weltkrieg ziemlich mitgenommen. Die weniger zerstörten Bauten zwischen Oranienplatz und Görlitzer Bahnhof wurden behutsam restauriert, der Abschnitt ist Altbausubstanz. Westlich des Moritzplatzes stehen fast nur Neubauten.
In den 70er Jahren entstand rund um die Oranienstraße die Hausbesetzerszene. Später entwickelte sich hier die linksradikale Szene. Seit dem 1. Mai 1987 verläuft die Erste Mai Demo über die Straße, die Straßenschlachten von 1987 sind legendär. Das SO36 wurde zur Geburtsstätte des Punk in Berlin. Ebenso wichtig sind die türkischen Gastarbeiter, die der Straße ihr Gepräge verliehen und in den 70ern die Restaurantkette Hasir gründeten, die bis heute die Ecke Oranienstraße/Adalbertstraße dominieren.
Oranienstraße, heute
Punk und alternativ, gentrifiziert und graffitiüberzogen: Auch wenn die Oranienstraße über die Jahre ruhiger geworden ist, so blieb sie dennoch cool. Bars wie Luzia und das Roses locken Nachtschwärmer an; Restaurants wie Safran (persisch), Moksa (indisch), oder Santa Maria (mexikanisch) die Hungrigen. Im Planet Modulor bekommen (Hobby-)Künstler vom Papier und Stift bis zum Bildrahmen alles; der Voo Store versorgt modeaffine Großstädter mit zu teuren Sneakern, Modern Graphics die Comicfans und die nGbK die Kulturliebhaber.
Eines der besten Murals des Stadtviertels – und ganz Berlins – Nature Morte von Roa grüßt jeden, der von der Skalitzer Straße in die Oranien einbiegt. Die Oranienstraße ist die Verbindung zum Kotti und zu den Prinzessinengärten, von hier ist es nicht weit bis zur Markthalle und zum Ritter Butzke.
Wenn nicht die Oranien, was sonst?
Wenn nicht die Oranienstraße die coolste Straße Berlins ist, welche dann? Vielleicht noch am ehesten die Sonnenallee, der Schmelztiegel Neuköllns. Was wäre sonst noch denkbar? Die Seestraße im Wedding? Die Warschauer? Boxhagener? Alle genannten haben ihre Vorzüge und ihren Charakter. Aber sie werden die Oranienstraße erstmal nicht von ihrem Thron stoßen.