Es gibt kaum eine andere Stadt, die für die Tattooszene so spannend ist, wie Berlin. Eine Szene, die sich dauernd ändert und weiterentwickelt, die dauernd neue Impulse empfängt und vielleicht ähnlich transitorisch ist, wie Berlin im Großen und Ganzen. Doch wie viel wissen wir von den Menschen, die uns tätowieren? Was prägt die neuere Welle an Tätowierern? Wo kommen sie her? Was inspiriert sie? Was macht das Tätowieren besonders für sie?
In unserer letzten Ausgabe kommen zwei Künstlerinnen der Linien und abstrakten Formen zu Wort.
tattoos.by.pauli
Pauline Wagner, besser bekannt als Pauli oder tattoos.by.pauli fing vor 6,5 Jahren an, Handpoke-Tattoos zu machen und machte vor 4 Jahren ihr Hobby zum Beruf. Sie ist Resident im TTTRIP TATTOO in Wedding und arbeitet vorwiegend abstrakt. Ein Markenzeichen von ihr sind lange, präzise Linien, die den Körper nachzeichnen.
Hallo Pauli!
Was ist dein Background?
Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Seitdem ich denken kann, habe ich es geliebt zu zeichnen, zu basteln und zu nähen – Aktivitäten, die meine kreative Seite, aber auch meine Feinmotorik herausfordern. Wenn ich kreativ bin, habe ich einen sicheren Rückzugsort in meiner eigenen Welt.
Wie kamst du zum Tätowieren?
Nachdem ich mich zwar schon einige Jahre tätowieren lassen habe, bekam ich vor 6,5 Jahren mein erstes Handpoke-Tattoo. Der Prozess wirkte so schön und friedlich auf mich, dass ich es unbedingt selbst ausprobieren wollte. Es wurde mir relativ schnell klar, dass ich das Ganze zu meinem Beruf machen wollte.
Machst du noch andere Kunst?
Neben den Tattoos male ich auch mit Acrylfarbe.
Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Abstrakt. Meine Arbeiten bestehen aus verschiedenen Linien, abstrakten Formen und teilweise schwarz gefüllten Flächen. Oft ist nur eins dieser Elemente in einem Tattoo enthalten, manchmal kombiniere ich sie. Größtenteils arbeite ich freihand (ich skizziere vor dem Tätowieren das Motiv mit einem Stift auf den Körper), wodurch sich die Tattoos besonders gut dem individuellen Körper anpassen lassen.
Ist für dich beim Tätowieren weniger mehr?
Ja. Wenn ich jemandem eine einzige lange Linie steche, dann kann dieses klare und simple Element in Zusammenspiel mit dem Körper ein sehr ausdrucksstarkes Bild ergeben. Vor allem, wenn die Person noch gar nicht, oder wenig tätowiert ist.
Was ist das letzte Projekt, auf das du stolz bist?
Auf dieses Projekt (s.o.) bin ich besonders stolz, weil ich das Motiv ohne vorherige Skizze direkt frei tätowiert habe. Das war eine sehr aufregende, intensive und schöne Erfahrung. Ich bin unglaublich dankbar, wenn mir so viel Vertrauen entgegengebracht wird.
Ergänze den Satz: „Tätowieren ist für mich…“
Meine eigene Sprache, in der ich viel Klarheit, Ruhe und Sicherheit finde.
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Madame Unikat
Seit 2015 sticht Madame bereits ihre Unikate auf Arme, Beine und Brüste. Ihr findet sie in ihrem eigenen Studio in Neukölln, in der Weserstraße. Ihre Tattoos prägen sich sofort ein: Formen und Linien, die abstrakt herumtanzen, mal in Schwarz, mal in Farbe, immer federleicht.
Bonjour Madame!
Wie kamst du zu deinem Künstlernamen?
Zuerst kam mein Laden Unikat eröffnet, in dem ich Kunstwerke, Vintage-Sammlerstücke und Designerkleidung verkaufte. Das Hinterzimmer war ein Tattoo-Studio. Ein Freund hat mich einmal als Madame Unikat aus der Weserstraße vorgestellt. Ich fand das sexy und habe den Namen dann auf Instagram genutzt.
Was ist dein Background?
Ich bin in der Bretagne geboren und habe in Paris interkulturelle Kommunikation und Medienwissenschaft studiert. In Berlin bin ich 2008 gelandet und habe mir ein Leben als freie Künstlerin aufgebaut.
Wie kamst du zum Tätowieren?
Über Handpoke! Ich habe meine ersten Tattoos von Vicky Pila bekommen, die Teil der ersten Welle von Handpoke-Tätowierern war. Ich war überrascht, dass man ohne Maschine tätowieren konnte und fing an, das Tätowieren als Kunst zu sehen. Zu jener Zeit beschäftigte ich mich viel mit Radierungen und war davon begeistert, dass der Körper eine neue Leinwand sein könnte. Was am Tätowieren interessant ist, dass es sich völlig der spekulativen Logik des Kunstmarktes entzieht. Man kann ein Tattoo nicht weiterverkaufen, es lebt und stirbt mit einem.
Machst du noch andere Kunst?
Ich mache gerne Mixed-Media-Kollagen. Außerdem interessiert mich das Upcycling als nachhaltige Kunstform: Ich mache Schmuck und custom-made Kleidung.
Wie würdest du deinen Stil beschreiben? Bist du der Kandinsky der Tattoo-Welt?
Ich bin an der Schnittstelle zwischen Minimalismus und abstrakter Kunst. Zum Glück kam ich früh mit Kunst in Berührung und habe so viele Kunstwerke, aus denen ich Inspiration schöpfen kann. Natürlich bewundere ich die Avantgarden des 20. Jahrhunderts, Künstler wie Kandinsky, Miro, Klee, Picasso, Calder, Cocteau, Leger, Matisse. Wahrscheinlich sind Leute an meiner Arbeit interessiert, weil ihnen die Motive vertraut und vielleicht sogar zeitlos erscheinen?
Was ist das letzte Projekt, auf das du stolz bist?
Während des Lockdowns habe ich wieder mehr Upcycling gemacht. Ich bin stolz auf meine jüngste Zusammenarbeit mit Kokifer, einem jungen Schmuckhersteller. Wir haben eine limitierte Serie nachhaltiger Silberaccessoires produziert, aus Fragmenten von Vintage-Schmuck und Altmaterial. Damit dieses Projekt so umweltfreundlich wie möglich ist, habe ich die Ledermanufaktur Hoffnung aufgesucht, um das Schmucketui aus Lederabfällen herzustellen.
Welchen Tätowierern in Berlin außer dir sollten wir folgen?
Ich betreue einen Handpoke-Tätowierer aus der Ukraine. Er hat eine ziemlich interessante Art der Abstraktion entwickelt, die ans Verfahren der Grattage erinnert. Hier könnt ihr ihm folgen.
Ergänze den Satz: „Tätowieren ist für mich…“
Mein Zen-Garten.