Es ist später Augustnachmittag und die Szenerie im Weinbergspark in Mitte wirkt fast mediterran. Die Sonne steht tief und spendet letzte, gnädige Strahlen auf die roten Sonnenschirme der Trattoria, die wie eine Krone auf dem Park ruht. „Pizza Disco Volante“ steht darauf, Pizza-UFOs, und auf der anderen Seite der Name der Trattoria: „Coccodrillo“.
Seit seiner Eröffnung im Sommer letzten Jahres hat das neue Restaurant der Big Squadra-Gruppe schon viele Wellen schlagen und viele Fans des italienischen Essens für sich gewinnen können. Was steckt hinter dem Hype?
Space Age trifft auf Hollywood
Erstmal steckt die Big Mamma Group dahinter, die von den Franzosen Victor Lugger und Tigrane Seydoux gegründet wurde und seit 2015 bereits 17 italienische Restaurants in Frankreich, England und Spanien zu ihrer Kette zählt. Jedes der Restaurants setzt sich mit seinem eigenen, persönlichen Stil ab, der von hauseigenen Designerteam entworfen wurde.
Auch das Coccodrillo ist hier keine Ausnahme. Die Terrasse mit Blick auf den Park ist angenehm in Sommer – doch versucht, wenn möglich einen Tisch im Innern des Restaurants zu buchen, um in den Geschmack der Einrichtung zu kommen.
Das Team von Studio Kiki strebte eine Reise ins Italien der 60er Jahre an, mit viel grellem Rot, Vintage-Postern, Glamour und elegantem Sex-Appeal. Neon-Röhren raunen: „I love Uranus“, Leoparden-Statuen sind pure porzellangewordene Passion. Es fühlt sich an, als wäre man in einem Softporno und einem Weltraumopus zugleich. Insbesondere, wenn man die Treppen zu den Badezimmern hinabsteigt. Konvexe Spiegel überziehen die Wände auf dem Weg und multiplizieren den Raum – und sind ein gefundenes Fressen für Instagram. Jedes Mal hielt sich eine Gruppe für Selfies auf, wir konnten es ihnen nicht verdenken.
Das Coccodrillo ist nach der Münchner Giorgia der zweite Ableger der Big Mamma/Big Squadra in Deutschland. Es wirkt nicht, als wäre methodisch durchgeplante Systemgastronomie im Spiel. Das Coccodrillo strahlt sinnliche Lebensfreude und Gastfreundlichkeit aus, eine große Lust am Essen und am Zusammenkommen. Bestes Beispiel dafür war Gabriele, der uns durch den Abend führte. Unaufgeregt und kenntnisreich sprach er gute Empfehlungen aus und war irgendwie immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Grazie, Gabriele!
Das ist Italiens Soul Food
Was ist mit dem Essen?
Erst eine Entwarnung: Believe the hype. Das Coccodrillo muss das Rad nicht neu erfinden, wenn es von selbst rotiert. Das übersichtliche Menü listet neben Pasta und Pizza auch einige Fleisch- und Fischgerichte auf, dazu Antipasti und weitere Vorspeisen alla Parmaschinken und Bufala. Gut gemachtes italienisches Soul Food ist Coccodrillos Metier, mit Fingerspitzengefühl und hervorragenden Zutaten, die das Küchenteam von befreundeten Erzeugern aus Italien bezieht. Einige Zutaten kommen auch aus Deutschland, wie das üppige, kernige Brot der Kreuzberger Brodstätte, das nicht viel mehr als Olivenöl und Salz braucht, um zu überzeugen.
Wir entschieden uns für das Culatello e Bufala und die Arancini als Vorspeise. Culatello ähnelt dem Prosciutto und ist in der klassischen Paarung mit dem soften und gut gewürzten Büffelmozarella ein No-Brainer, doch die Arancini Sicialiani gewinnen im direkten Vergleich. Die Reisbällchen mit Caciocavallo-Käse in Trüffelsauce sind locker-sinnlich und werden von der Sauce aufs nächste interplanetare Level gehoben. Wenn ihr euch nicht für die Trüffelpasta entscheidet mögt, oder einen ersten Schritt in die Trüffelwelt setzen wollt, sind die Arancini optimal.
Ein echter Superstar
Doch hier sind wir auch gleich bei der Sache. „The Famous Truffle Pasta„, wie die Hauptspeise im Menü angekündigt wird, ist zweifellos der Superstar der Speisekarte. Der Powerseller von Coccodrillo ist einfach das Beste, was ich dieses Jahr probieren durfte. Selbstgemachte, lange Mafaldine ruhen in samtweicher Trüffel-Mascarpone-Sauce und schmelzen im Mund ohne weiteres Zutun. So wird jeder Leopard zum handzahmen Lamm. Es ist fast unfair, den anderen Gerichten gegenüber.
Denn sowohl die sexy Paccheri mit Fenchelsalami als auch die Tagliata di Manzo, ein saftiges, gut gewürztes Flanksteak mit knusprigen, gut gewürzten Ofenkartoffeln sind beide sehr gut und rechtfertigen den Besuch bereits. Aber die Trüffelpasta setzt sich mit einer solchen Leichtigkeit die Krone auf, dass es beängstigend ist. Ihr würdet sie vielleicht nicht jeden Monat haben wollen. Aber ihr werdet eurer besten Freundin eines Tages sagen: „Was für eine Dreckswoche. Komm, wir gehen zu Coccodrillo für Trüffelpasta.“ Und als andere Menschen herauskommen, etwas erleichtert.
Übrigens: Ihr merkt, wie oft ich die Gerichte als „gut gewürzt“ beschrieben habe. Es ist Tatsache. Es herrscht Balance, nichts ist versalzen oder unterwürzt, vom Käse zu den Hauptgerichten hat alles eine angenehme Präsenz. Nicht unbedingt zu erwarten in Berliner Restaurants.
Noch ein Dessert dazu?
Einzig die Drinks blieben für uns etwas zurück. Der „Let That Man-Go Mule“ meiner Begleitung – obwohl im Blickfang vom Trinkgefäß serviert – ist okay, eben ein Moscow Mule mit Bourbon und Mango. Kann man machen. Mein abgespeckter Spritz mit dem Namen „It’s Britney“ ist wie ein Aperol ohne Aperol. Ein leichter Sommerdrink. Kann man auch trinken. Und es ist okay, dass nicht jedes Item der Karte die Aufmerksamkeit monopolisieren muss.
Ich weiß nicht, wie wir Platz für die Desserts fanden und freue mich, dass wir es geschafft haben. Das Panna Cotta mit saisonalen, roten Früchten war etwa dreimal so groß wie erwartet und der richtige fruchtige Abschluss für mich. Meine fotografierende Freundin hielt es mit dem Choco Clap Clap, der tatsächlich sehr viel Schoko und sehr viel Clap in sich trug. Dunkle und Milchschokolade auf einem crispy Boden mit Espressonoten, dazu Mascarpone, die den Teller wie frisch gefallener Schnee bedeckte: Das Dessert braucht unbedingt ein Heißgetränk als Begleiter und reicht für zwei Personen, so gehaltvoll ist es.
Unser Fazit
Ist es den Hype wert? Ja, allein für die Trüffelpasta. Aber kombiniert es mit einer anderen Vorspeise, als die Arancini. Zweimal Trüffel ist etwas zu viel des Guten.
Auch der Rest des Menüs bleibt angenehm in Erinnerung. Handgemachte Speisen mit exzellenten Zutaten, auf eigens für Coccodrillo angefertigten Tellern: Sieht gut aus, schmeckt gut. Nächstes Mal probieren wir gerne eine der Pizzen, deren Teige 72 Stunden ruhen, bevor sie in den Ofen kommen.
Der Besuch bekommt Eventcharakter durch die ausgefallene Einrichtung. Bringt eure Freunde mit, habt Spaß im roten Space-Wunderland, aber blockiert nicht die Treppen vor lauter Selfiewahn. Es schadet auch nicht, dass die Restaurantbesucher sich etwas mehr in Schale werfen, als gemeinhin in Berlin. Okay, es ist Berlin-Mitte.
Oder eine Villa in Roma? Kommt und entscheidet selbst.
Aber Achtung: Bucht am besten rechtzeitig, denn dieser Szene Spot ist beliebt!